Newsletter September 2024
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Menschenrechte ohne Grenzen e.V.

ITALIEN

Foto: unsplash

Newsletter Italien

Neues von der EU-Außengrenze

September 2024

Die Ende 2023 im Italien-Albanien-Deal beschlossenen Grenzzentren in Albanien sollen laut der italienischen Regierung im Oktober eröffnen, nachdem die Inbetriebnahme nun seit Monaten verschoben wird. Hier sollen Menschen aus sog. sicheren Herkunftsländern ihr Asylverfahren in 28 Tagen durchlaufen. Das enorm teure Unterfangen ist nicht nur absurd, auch die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien ist mehr als fraglich.


Doch im Juli 2024 eröffnete das italienische Innenministerium in aller Eile ein Grenzzentrum für beschleunigte Verfahren in Porto Empedocle, der Hafenstadt, in der die Fähren aus Lampedusa einlaufen. Letztes Jahr hatte hier schon ein Hotspot seine Pforten geöffnet, nun gilt das neue Grenzzentrum als Testlauf für die Zentren in Albanien. Auch hier sollen nur Menschen aus sog. sicheren Herkunftsländern wie z.B. Tunesien und Ägypten ihr beschleunigtes Asylverfahren durchlaufen. Doch ebenso wie Monate zuvor in Pozzallo/Modica, dem ersten auf italienischem Boden eröffneten Grenzzentrum, werden die Haftersuchen der Ausländerbehörde reihenweise vom zuständigen Gericht in Palermo abgelehnt. Wie zuvor in Catania, der Gerichtsbarkeit für Pozzallo/Modica, sprechen sich die Richter*innen gegen eine kollektive Verhaftung aufgrund des Herkunftslandes aus. Jede Person, egal woher sie kommt, hat ein Anrecht auf ein individuelles Verfahren. Das Gericht in Catania ist im September noch einen Schritt weiter gegangen: es stellte die staatliche Liste der sog. sicheren Herkunftsländern in Frage und stellte fest, dass Tunesien, Ägypten und Bangladesh keineswegs als sicher gelten können.

 

Dieser “Kampf” der Gerichtsbarkeit gegen die Dekrete und Gesetze der italienischen rechten Regierung bleiben natürlich nicht unkommentiert – schon wird von Meloni & Co. gefordert, dass man endlich gegen diese aufsässigen Richter*innen vorgehen müsse. Erschreckende Angriffe auf Entscheidungen nehmen zu. So auch im Fall der Seenotrettungs-NGO Open Arms im Prozess gegen Matteo Salvini. Am 14. September forderte die Staatsanwaltschaft am Gericht in Palermo sechs Jahre Haft für den ehemaligen Innenminister. Nicht nur Salvini ging mit Videobotschaften voller fake news online, auch die Staatsanwält*innen erfuhren massive Bedrohungen auf den Sozialen Medien und in Briefform.

 


Monatliches Kurzupdate

Scirocco

Politische Entwicklungen in Italien

In unserem Kurzupdate „Scirocco“ geben wir regelmäßig einen Überblick über die aktuellen politischen Entwicklungen in Italien. In den vergangenen Monaten (Mai-August) stechen dabei einige (wiederkehrende) Themen heraus.


Neben der Verstärkung der Grenzkontrollen zwischen Italien und Slowenien sowie zwischen Italien und Bosnien-Herzegowina (9 + 10), wird auch die Externalisierung der EU-Außengrenzen durch bilaterale Abkommen und Zusammenarbeit der italienischen Regierung mit Libyen, Tunesien und Algerien (9, 10, 14) - trotz der bekannten Menschenrechtsverletzungen durch die dortigen Behörden - immer weiter vorangetrieben.


Vor allem die politische Lage in Tunesien und damit verbundene schwere Menschenrechtsverletzungen haben sich in den letzten Monaten weiter zugespitzt. Neben Massenvertreibungen und Rassismus gegen Flüchtende werden in den letzten Monaten vermehrt auch Oppositionelle, Journalist*innen, Anwält*innen und Aktivist*innen unrechtmäßig verhaftet; dies hat immer wieder zu Protesten in dem nordafrikanischen Land geführt. In all unseren Ausgaben (9-14) haben wir zur Lage in Tunesien berichtet.


Ein weiteres Dauerthema ist die menschenunwürdige Unterbringung von Geflüchteten in Italien, die sich immer weiter verschlimmert. In Ausgabe 9 berichten wir über mangelhaften Kontrollen in den Abschiebehaft-Zentren (CPRs) und den Platzmangel in den Erstaufnahme-Einrichtungen, in Ausgabe 12 geht es um die fehlenden Aufnahmeplätze für unbegleitete minderjährige Geflüchtete und die damit verbundenen Folgen für diese. Nun hat die italienische Regierung zusätzlich ein neues ’Sicherheitspaket’ beschlossen, das Hotspots und CPRs mit Gefängnissen gleichstellt. Ein ausführlicher Bericht darüber und einzelne Berichte zu verschiedenen Hotspots und CPRs sind in der letzten Ausgabe 14 zu finden.


Zu den Entwicklungen rund um die Zentren in Albanien berichten wir in den Ausgaben 11, 13 und 14.


Über die systematische Ausbeutung von Migrant*innen auf dem italienischen Arbeitsmarkt, deren Folgen, das System dahinter und Proteste dagegen berichten wir in den Ausgaben 9, 12 und 13.


Natürlich war auch die EU-Wahl und der damit verbunden Wahlkampf und die Positionierung der italienischen Parteien in den letzten Monaten ein wichtiges Thema. In den Ausgaben 10 und 11 des Scirocco geht es um den Wahlkampf in Italien und in der Ausgabe 12 berichten wir über die Wahlergebnisse und deren Auswirkungen.


Die Pressefreiheit in Italien steht stark unter Druck. Ein extremes Beispiel dafür war die kurzfristige Ausladung des Schriftstellers Antonio Scurati, der zum „Tag der Befreiung vom Faschismus“ (am 25.04.24) einen antifaschistischen Monolog im staatlichen Fernsehen halten sollte. Auf die Ausladung folgten hitzige politische Debatten. Details dazu sind in der Ausgabe 9 zu finden und in der Ausgabe 14 geht es um ein Statement von Roberto Saviano zur gefährdeten Pressefreiheit in Italien.


Foto: unsplash

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Monatliches Update

Central Mediterranean Info

Entwicklung auf dem Zentralen Mittelmeer

Jeden Monat dokumentieren wir die Zahl der Personen, die über das zentrale Mittelmeer in Italien ankommen. Wir beobachten auch, wie viele Menschen beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, sterben oder als vermisst gemeldet werden. Außerdem informieren wir über Fälle, in denen Migrant*innen auf dem Mittelmeer abgefangen und von der sogenannten libyschen oder tunesischen Küstenwache in ihre Abfahrtsländer zurückgebracht werden.


Doch die Zivilgesellschaft wehrt sich. So gehen gegen jede Festlegung eines zivilen Rettungsschiffes sofort Klagen ein, die meist von Erfolg gekrönt sind. Der Post von Innenminister Matteo Piantedosi, in dem er die Zurückholung von mehr als 16.000 Geflüchteten nach Libyen als Erfolg verbucht, wird nun von der zivilen Seenotrettungsplattform mit einer Klage vor dem internationalen Strafgerichtshof gewürdigt. Da Libyen definitiv kein sicherer Drittstaat ist, stellen diese Pullbacks einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Hamburger Seenotrettungskonvention dar und damit ist Innenminister Piantedosi mitverantwortlich für dieses Verbrechen.


Wir setzen den öffentlichen Zahlen eine zivile Beobachtung über eine der gefährlichsten Fluchtrouten der Welt entgegen. Informiert euch hier über die Ereignisse den letzten Central Med Infos Mai, Juni, Juli, August

Foto: Silvia Di Meo

Monitoring

Unsichtbar

Die unwürdige Behandlung von Geflüchteten in Sizilien

Auch im Jahr 2024 konnten wir unser Monitoringprojekt zur Situation von Geflüchteten in Sizilien und Italien mit dem Arci Porco Rosso fortsetzen. Dies ist dank der Unterstützung der Evangelischen Kirche im Rheinland möglich!

Die Ergebnisse unserer täglichen Recherchen sind in unseren Newslettern (Scirocco und Central Med Info) sowie in unseren Artikeln festgehalten. 

Zudem haben wir in den letzten Monaten über diverse Themen berichtet, angefangen mit der gewollten Abschreckung der neu gebauten Ausländerbehörde in Palermo.


„Der Wert der Worte“ ist ein wichtiger Beitrag über das Recht einer korrekten Übersetzung in (Asyl-)Verfahren, aber auch über das Recht, dafür angemessen bezahlt zu werden. Ausgebildete Dolmetscher*innen lehnen immer häufiger die Aufträge von Gerichten ab, weil sie nicht ordentlich bezahlt werden. Das führt oft zu Einsätzen von unterbezahlten und nicht ausgebildeten Dolmetscher*innen, was eine gleiche und angemessene Verteidigung der Personen, deren Worte vor Gericht übersetzt werden, nicht zulässt.


Ein weiterer Artikel beschäftigt sich mit der Situation von ausländischen Jugendlichen in Palermo, die durch die jetzige Politik immer weiter marginalisiert und so in die Kriminalität gedrängt werden. Von fehlenden Beratungsstellen und Integrationsmaßnahmen zu prekären Aufenthaltsstati und Gentrifizierung – der politische Kurs muss eine neue Richtung einlegen, um weitere Marginalisierung und Gewalt zu verhindern. 

 

Weitere wichtige Themen im Rahmen der italienischen Migrationspolitik haben uns in den letzten Monaten beschäftigt: Die immer weiter zunehmenden Manipulation der Meinungsfreiheit und die künstliche Intelligenz im Zusammenhang mit der Einhaltung der Menschenrechte. 


Zudem haben wir unsere Vorträge als Gesamtinformation zusammengestellt. Diese halten wir vor interessierten (Bildungsreise-) Gruppen in Palermo und online.


 

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Monitoring Kriminalisierung

From Sea to Prison - Braving the Waves

Neuer Vierteljahresbericht des sizilianischen

Anti-Kriminalisierungsprojektes

In einem Land, das von einer rechtsextremen Regierung geführt wird, war es zu erwarten, dass sich die Kriminalisierung der Bewegungsfreiheit weiter fortsetzt. In unserem mit dem Arci Porco Rosso gemeinsam geführten Projekt „From Seat to Prison“ schildern wir im neuen Vierteljahresbericht, dass diese Politik auf einem kriminalisierenden Narrativ basiert, welches über Jahrzehnte aufgebaut wurde und sich unter der Meloni-Regierung weiter zugespitzt hat. Dabei beleuchten wir, wie die Konstruktion der Figuren des “Schmugglers“ und des “Menschenhändlers“ mit der italienischen und internationalen Migrationspolitik verflochten ist, wie sie diese geprägt hat und wiederum gleichzeitig auch von ihr geprägt wurde.

 

In den letzten Monaten konnten wir die Folgen des Cutro-Dekrets in den Gerichtssälen beobachten, insbesondere die Folgen für “Bootskapitäne“, die Schiffsbrüche und dem Tod auf See entgangen sind. Der gesamte Rechtsrahmen, der die Erleichterung der Bewegungsfreiheit kriminalisiert, wurde mit dem Fall ‚Kinsa‘ vor den Europäischen Gerichtshof gebracht. Gleichzeitig bildet sich ein immer stärkeres Netzwerk um einige dieser Fälle, wie die der in Kalabrien inhaftierten iranischen Frauen oder der Kapitäne vor Gericht in Neapel. Auch wenn derzeit noch so viele Menschen inhaftiert sind - etwa 80 davon, mit denen wir in Kontakt stehen – oder abgeschoben wurden (wie unser Freund M.), zeigen uns diese Netzwerke und kleinen Siege vor Gericht, dass man den Wellen noch trotzen kann.

Monitoring extended

Geflüchtete im Libanon

Eine Reise auf die andere Seite des Mittelmeeres

Neben Libyen und Tunesien, den Hauptabfahrsorten nach Italien, haben wir in diesem Jahr das Thema Libanon aufgegriffen, da es auch immer mal wieder Geflüchtete gibt, die das Mittelmeer von dort aus überqueren. Wie also ist die Situation vor Ort, haben wir Anja Pilchowski und ihren Kollegen Ahmad Ibrahim gefragt. Sie schildern in ihrem Artikel "Libanon, ein weiterer Torwächter für die verängstigte EU?"  inwieweit auch die EU-Politik involviert ist.


Auf die spezielle Situation der sudanesischen Geflüchteten geht Pilchowski in "Sudanesische Geflüchtete im Libanon - die vergessene Community und ihre Probleme mit dem UNHCR und der libanesischen Gesellschaft" ein. 


In ihrem dritten Artikel hingegen, „Freedom of movement from Lebanon instead of criminalisation of migration” (derzeit nur in englischer Sprache, Übersetzung ins Deutsche folgt) berichtet Pilchowski über die Kriminalisierung der Flucht über das Mittelmeer. Legale Optionen zu finden, das Land zu verlassen, ist fast unmöglich. Verhaftungen von „boat drivern“, aber auch von Menschenrechtsaktivist*innen nehmen zu. Die derzeitige Kriegslage im Libanon durch die Angriffe Israels erschwert zudem die eh schon prekäre Lage der Geflüchteten und der Libanes*innen massiv. 


 
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