In unserem Kurzupdate „Scirocco“ geben wir regelmäßig einen Überblick über die aktuellen politischen Entwicklungen in Italien. In den vergangenen Monaten Oktober und November 2024 zeigen sich vor allem diese wiederkehrende Themen: Menschenverachtende Externalisierung nach Albanien
Das italienische Bestreben, externalisierte Schnellverfahren in Haftzentren in Albanien durchzuführen, begann im Oktober und wurde durch italienische Richter*innen im November ausgesetzt. Im Januar 2025 soll es jedoch wieder aufgenommen werden. Nachdem die erste Überführung von 16 Migranten aufgrund der Frage nach der effektiven Sicherheit von sog. „sicheren“ Herkunftsländern scheiterte, wurde der zweite Versuch, acht Migranten in Albanien zu inhaftieren, wegen einem Kompatibilitätskonflikt zwischen italienischem und EU-Recht gestoppt. Das hatte zur Folge, dass die von italienischem Personal geführten albanischen Zentren wochenlang leer standen und das Betriebspersonal Ende November aus Albanien abzog (Ausgabe Nr. 16). Die Regierung Meloni hält dennoch unbeirrt an ihrer Externalisierungsstrategie fest. Mehr Details zu der Diskussion und den Umständen findet ihr im Artikel "Die erste Tour – das Versagen der italienischen Externalisierungspolitik in Albanien". Untergrabung der Justiz
Erzürnt über die oben beschriebenen Entscheidungen der Richter*innen, verlegte die Meloni-Regierung Anfang Dezember durch das "Flussi-Dekret" u.a. die Zuständigkeiten für die Bestätigung von Inhaftierungen in Albanien von der qualifizierten Immigrationsabteilung des Gerichts in Rom auf die Berufungsgerichte. In einer Entscheidung vom 19. Dezember hat Italiens höchstes Gericht jedoch geurteilt, dass Richter*innen nicht an die von der Regierung genehmigte Liste von Herkunftsländern gebunden sind, wenn diese im Widerspruch zum EU-Recht steht sowie dass die Sicherheit jedes Einzelfalls individuell bewertet werden muss. Der Gesetzesentwurf des „Sicherheitsdekrets“ (DDL Sicurezza) kriminalisiert nicht nur weiter Migration, sondern auch Proteste und zivilen Widerstand. Protestaktionen, auch in Inhaftierungszentren, können mit bis zu 20 Jahren Haft geahndet werden. Das Dekret löste landesweite Proteste aus und wird von Jurist*innen als Angriff auf die Grundrechte kritisiert.
Proteste
Im November kam es zu Protesten in einem Unterbringungszentrum in Bari (Apulien). Auslöser war der Tod eines 33-jährigen Bewohners, der nach einem Suizidversuch verstarb und laut Bewohner*innen unzureichend medizinisch versorgt wurde (Ausgabe Nr. 16). Ein im Dezember vom Europäischen Anti-Folter-Komitee (CPT) erschienener Bericht über italienische Abschiebungszentren (CPRs) dokumentiert Fälle von Misshandlungen durch die Polizei, schlechte Haftbedingungen, fehlende Beschäftigungsangebote und die Verabreichung nicht verschriebener Psychopharmaka. Schiffbrüche vor Gericht
Zu unserem Entsetzen wurde am 20. Dezember der ehemalige Innenminister Matteo Salvini von allen Anklagepunkten in dem von der NGO Open Arms angestrengten Prozess freigesprochen. Er hatte 2019 nach der Rettung von 163 Menschen durch die Open Arms die Einreise von 147 Personen in einen sicheren Hafen verhindert. Open Arms verklagte Salvini wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch. Vorab wurden die Staatsanwält*innen, die eine sechsjährige Haftstrafe forderten, mit Schmierkampagnen und sogar Todesdrohungen belästigt. Unser Artikel vom 09.10.2024 beleuchtet den Prozess und seine Wirkung in der italienischen Öffentlichkeit. Nach dem Cutro-Schiffsunglück im Jahr 2023, bei dem mindestens 94 Menschen ertranken, wurden im November drei mutmaßliche „Schmuggler“ angeklagt. Die Anklage fordert Haftstrafen von 11 bis 18 Jahren sowie Geldstrafen in Millionenhöhe wegen mehrfachen Totschlags und Beihilfe zur unerlaubten Einreise. Der Prozess richtet den Fokus auch auf sechs Beamt*innen, denen Fahrlässigkeit und mehrfacher Totschlag vorgeworfen wird, da sie über fünf Stunden keine Rettungsmaßnahmen einleiteten. Die Regierung verteidigt die Beamt*innen jedoch. (Ausgabe Nr. 16)
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